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Angeregt durch den tollen Blogbeitrag der Wortzauberin über die amöbische Sprache möchte ich etwas über den einsilbigen Sprachgebrauch der Niedersachsen und insbesondere der Heidjer erzählen. Dabei handelt es sich zwar um einsilbige Wörter, dennoch ist es genaugenommen kein Amöbisch. Das wichtigste Wort des Heidjers lautet: Jau! Und das ist alles andere als inhaltsleer.

„Jau“ verwendet der Heidjer ausgesprochen kreativ. Mit einem einzigen Wort ist er in der Lage, komplexe Sachverhalte ausführlich darzustellen.

Ein kurz gesprochenes „Jau“ hat in etwa folgende Bedeutungen:
1. Ja, ich gebe dir vollumfänglich recht in allem, was du gesagt hast! (Wird auch häufig eingesetzt, wenn der Heidjer seine Ruhe haben will, und keine Rückfragen zulässt)
2. Ja, das machen wir so!
3. Ja, und nun ist gut! (Mach, was du willst, ich hab Besseres zu tun)
Das länger gezogene „Jouh“ (wird in etwa jou-uh gesprochen) ist unbestimmter:
1. Meinst du wirklich? (Ist doch Quatsch, was du da sagst, wo hast du das denn wieder aufgeschnappt?)
2. Stimmt das wirklich? (Überleg lieber noch mal, ob das stimmt).
3. Das glaube ich nicht! (Wenn du dieser Meinung bist, dann bitteschön, meinetwegen. Ich weiß, dass ich recht habe.)

Das sind natürlich nur ein paar Beispiele – aus dem persönlich erlebten Alltag gegriffen. Das „Jau“ spielt jedenfalls eine wichtige Rolle im Leben des Heidjers. Er kann damit fast alles ausdrücken, wozu braucht es also mehr Worte?

Eine Anekdote aus meiner Familie zeigt die Bedeutung dieses wichtigsten Wortes ganz deutlich. Die Begebenheit trug sich zwar lange vor meiner Geburt zu, doch wurde sie so häufig erzählt, dass ich das Gefühl habe, selbst danebengestanden zu haben. Anlässlich der Hochzeit von Heinrich und Maria Magdalena (kein Witz, bei uns in der Familie heißen viele Frauen so) stellte der Pastor am Altar die unvermeidliche Frage:

„Willst du, Heinrich, die hier anwesende Maria Magdalena zu deiner Frau nehmen etc. etc., so antworte: Ja, ich will“.
Heinrichs Antwort lautete: „Jau“ (kurz gesprochen, also: Er wollte schon).
Der Pastor war damit nicht zufrieden. Er fragte also noch einmal: „Willst du …“
Heinrich: „Dat hebb ick all seggt!“ (Hab ich doch gesagt, würde man wohl im Hochdeutschen sagen).
Der Pastor gab auf und die Ehe konnte vollzogen werden (war sie wohl vorher schon, denn der Stammhalter ließ nicht lange auf sich warten und Sechsmonatskinder sind meines Wissens bei uns nie vorgekommen).

So sind sie, die Heidjer! Ein kleiner Rat für alle, die sich mal in ein altes Heidedorf verirren. Niemals fragen: „Wissen Sie, wo der Bahnhof ist?“ Erstens ist der Bahnhof immer in der Bahnhofstraße und das ist die einzige richtig ausgebaute Straße im Dorf, wo der Frager eh schon steht. Zweitens ist die Frage falsch gestellt. Der Ur-Heidjer wird antworten: „Jau“, denn er weiß die Antwort. Die gibt er aber nur preis, wenn er die richtige Frage gestellt bekommt: „Können Sie mir sagen, wie ich zum Bahnhof komme?“ist auch nicht korrekt formuliert. Er könnte schließlich, wurde ja aber nicht gefragt. Auf „Geht es hier zum Bahnhof?“ könnte dagegen zu einem bejahenden oder verneinenden Kopfnicken führen.

Das gilt übrigens auch für die Uhrzeit. Wer auf die Frage, „Wissen Sie, wie spät es ist“ sein Smartphone zückt und die Uhrzeit nennt, outet sich als Zugezogener, der noch nicht richtig in der Heide angekommen ist. Der echte Heidjer sagt „Jau“ und wartet auf die korrekte Frage.

Natürlich gibt es auch Zeiten, in denen der Heidjer anfängt zu sabbeln. Feuerwehrbälle, Schützenfeste und Familienfeiern sind Ereignisse, bei denen sich sogar alte Heidjer ausgesprochen viel zu erzählen haben. Allerdings setzt dies einen gewissen Promille-Spiegel im Blut voraus – bei manchen Frauen reichen dafür auch starker Kaffee und Kaffeestreifen (zwiebackhartes Gebäck, das mit Zucker bestreut ist, und zum Genuss in den Kaffee getunkt wird).